12.12.2023

Mit weniger mehr erreichen

Die ARA Vorstände Harald Hauke und Martin Prieler diskutierten mit Karin Huber-Heim, Executive Director des Circular Economy Forum Austria, über Kreislaufwirtschaft in Europa. Huber-Heim leitet den Beirat Kreislaufwirtschaft des Klima- und Wirtschaftsministeriums.

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©ARA/Daniel Willinger

Stehen Kreislaufwirtschaft und wirtschaftliches Wachstum im Widerspruch?

Huber-Heim: Keineswegs, auch Kreise können immer größer werden. Es gibt keine Limits innerhalb der planetaren Grenzen, was Wachstum anbelangt. Es ist nur ein Unterschied, ob wir linear wachsen, über Verbrauch, oder kreislauffähig – und eine Entkoppelung von Ressourcen erreichen.

Wie kann man den Ressourcenverbrauch vom Wachstum entkoppeln?

Hauke: Die Abfallhierarchie ist hier ein guter Anhaltspunkt – zu Beginn sollte die Vermeidung stehen, gefolgt von Recycling und erst am Schluss die thermische Verwertung.

Prieler: ‘Do more, use less’. Mittlerweile ist allen klar, so wie bisher weiterzumachen, geht sich nicht mehr aus. Eine logische Konsequenz ist, zum einen generell weniger Materialien zu verwenden, zum Anderen den Anteil an Sekundärrohstoffe zu steigern. Dafür ist der Regulator gefragt. In unserer Branche sehen wir, dass in einigen Bereichen Virgin-Materialien aktuell wesentlich günstiger sind als Rezyklate. Aus einer rein wirtschaftlichen Überlegung heraus ist es demnach verständlich, zu diesen günstigeren Primär-Materialien zu greifen.

Huber-Heim: Das ist unser systemstrukturelles Problem. Wenn ‚billig‘ der erste Gedanke ist, dann bin ich dazu verleitet, verschwenderisch mit Rohstoffen umzugehen. Wir würden achtsamer mit Materialien umgehen, wenn wir Wert und Auswirkungen eingepreist hätten. Gleichzeitig müssen wir darüber nachdenken, wie wir künftig Wohlstand oder Fortschritt definieren. Hängt dieser am Materialverbrauch, dann sinkt in einer Kreislaufwirtschaft logischerweise unser BIP. Das heißt aber nicht, dass es uns schlechter gehen wird. Schaffen wir die Transformation, dann wird das BIP sogar abnehmen müssen. Dieses wird nicht mehr Maßstab für Fortschritt und Wohlstand sein. Wir werden uns in einer neuen Art des Wachstums befinden und dieses anders bemessen müssen.

Wer wird dann gefordert sein, diese zirkuläre Wirtschaft zu ermöglichen?

Martin Prieler: Die Regierungen auf europäischer und nationaler Ebene geben einen Rahmen vor, in dem wir uns bewegen können. Dieser muss aber auch so gestaltet sein, dass Wirtschaft, Industrie und Menschen sich darin bewegen können. Durch verbindliche Vorgaben werden im ersten Schritt Leute ins Boot geholt und im zweiten Schritt wird Investitionssicherheit ermöglicht.

Harald Hauke: Die Bevölkerung nimmt einen hohen Stellenwert ein. Die Bewusstseins- und Umweltbildung hat einen enormen Impact, um Akzeptanz zu erhalten. Denn ohne können wir noch so viele Regulatorien beschließen. Dabei geht es nicht um Bevormundung, sondern um Überzeugung. Die Kreislaufwirtschaft ist für jedes Leben sinnvoll.


Was können Unternehmen tun, um die Transformation zu einer zirkulären Wirtschaft aktiv voranzutreiben?

Huber-Heim: Unternehmen spüren den Druck, einerseits durch gesetzliche Vorgaben, andererseits durch begrenzte Verfügbarkeiten. In diesem Spannungsfeld bietet sich die Möglichkeit, proaktiv zu handeln und sich zu fragen: Welche Chancen eröffnen sich für mich? Dabei stellt die Kreislaufwirtschaft eine gute Option dar.

Prieler: Jedes Unternehmen sollte innerhalb seiner eigenen Supply-Chain definieren, wo Impacts stattfinden und definieren, wo kritische Erfolgsfaktoren im Unternehmen liegen.

Hauke: Wir haben bereits viele Unternehmen mit Hilfe von Stoffstromanalysen dabei unterstützt, ihre Kreisläufe effizienter zu gestalten. Gleichzeitig versorgen wir sie mit hochwertigen Sekundärrohstoffen. Nur wenn sie auf Ressourcenmanagement setzen, können Unternehmen in Zukunft bestehen.

Huber-Heim: Mit weniger mehr erreichen, ist das, was wir in den nächsten Jahren lernen müssen. Betriebe erkennen, dass sie eine wichtige Bildungsfunktion in der Gesellschaft einnehmen. Einfach, weil sie in bestimmten Bereichen agiler als der Staat sind. Es ist daher unheimlich wichtig, das Unternehmen ihre Mitarbeiter:innen auf allen Ebenen im Bewusstsein für Kreislaufwirtschaft aus- und weiterbilden.

Prieler: Es ist aber nicht nur die Bildung als solches, sondern auch die Sensibilisierung, z. B. über Nudging überzeugen wir Menschen auf einer sehr niederschwelligen Ebene.

Huber-Heim: Absolut, ich bin ein Fan von „Nudging für Nachhaltigkeit“, da wir die Entscheidungsarchitektur verändern können. Damit „klimaschädliches“ Verhalten nicht mehr der Norm entspricht, müssen wir die Strukturen für unser tägliches Handeln verändern. Nudges ermöglichen es, die Entscheidungen für Nachhaltigkeit einfacher zu machen.

Hauke: Wenn wir es schaffen, mit Nachhaltigkeitskommunikation den Leuten einen Purpose, also sinnstiftendes Verständnis zu geben, dann haben wir gewonnen.

Kennen Sie ein besonders innovatives Beispiel für Kreislaufwirtschaft aus Europa?

Huber-Heim: In den Benelux-Ländern wird sekundäres Baumaterial dezentral digital erfasst. Dies ermöglicht eine genaue digitale Karte von Materialien und Bauteilen, inklusive ihres Aussehens, Zustands und der optimalen Verwendungsmöglichkeiten.

Prieler: Dänemark ist hier ein besonders gutes Beispiel. Mit einer eigene Material-Database kategorisieren sie Ressourcen und binden Digitalisierung viel stärker ein. Das bietet viel Know-how, von dem wir lernen können.

Huber-Heim: Wir wollen einen zentral-europäischen Wirtschaftsraum schaffen, das ist ein wesentlicher Teil der österreichischen Kreislaufwirtschaftsstrategie. Skandinavische Länder haben sich zu einem grenzübergreifenden Wirtschaftsraum zusammengeschlossen. In dieser Kooperation tauschen sie Erfahrungen aus und entwickeln gemeinsame Wirtschaftsaktivitäten.

Wenn Sie sich die Kreislaufwirtschaft in 50 Jahren vorstellen: Wie sieht ein Europa aus, in dem Sie leben möchten?

Hauke: Ich stelle mir ein vernetztes Europa vor, in dem Kreisläufe geschlossen sind und Ressourcen effizient gesteuert werden.

Huber-Heim: Das Schöne in einer Kreislaufwirtschaft ist, dass durch das Teilen wieder eine Solidarität aufkommen kann. Wir müssen mehr Verbindungen haben, grenzübergreifende Wirtschaft in den Regionen, in den Lieferketten und anderen Sektoren. Das hat ein großartiges Verbindungspotenzial, gerade in Zeiten wie diesen, müssen wir die Gesellschaft zusammenwachsen lassen und gleichzeitig im Guten mit den planetaren Grenzen leben. Kreislaufwirtschaft ist auch dazu da, Abhängigkeiten zu reduzieren – über alle Generationen hinweg.

Prieler: Ich möchte in einer Zero-Waste-Gesellschaft leben. Im Bereich der Deponierung mit nur mehr rund zwei Prozent haben wir das bereits heute geschafft. Zero Waste heißt aber keineswegs, dass es keine Abfälle mehr gibt, sondern wir diese nur besser im Kreislauf halten. Es ist entscheidend, einen neuen Begriff für Abfall zu definieren. Gleichzeitig setze ich auf das Konzept von Big Data und Digitalisierung, indem ich alle Ressourcen über eine, zentrale Stelle lenke und steuere.

Als Vorsitzende der Task Force Circular Economy, was sind die nächsten Schritte, Frau Huber-Heim?

Huber-Heim: Diese Task Force ist ein unglaublicher Fortschritt. Wir setzen auf zwei Strategien, die Kreislaufwirtschafts- und Bioökonomiestrategie. Nun wird die Kommission ins Laufen gebracht und die effektivsten Hebel identifiziert. Noch m Dezember wollen wir ein Arbeitsprogramm für die kommenden Jahre entwickeln.



Task-Force Circular Economy

Um die Abhängigkeit von Primärrohstoffen zu reduzieren, wurde die österreichische Kreislaufwirtschaftsstrategie erarbeitet. Die vom Klima- und Wirtschaftsministerium einberufene Task-Force begleitet und evaluiert seit Oktober 2023 die Umsetzung der Kreislaufwirtschaftsstrategie. Denn bis 2030 soll der Einsatz von Materialen in der wirtschaftlichen Produktion um 20 Prozent reduziert und das Recycling um 10 Prozent erhöht werden.

Die Task-Force soll nun jährlich einen Vorschlag für einen Minister:innenratsvortrag vorlegen, damit die Bundesregierung regelmäßig den Umsetzungsfortschritt bewerten und Maßnahmen setzen kann.

Neben Vertreter:innen aus Klimaschutzministerium und Wirtschaftsministerium ist auch das Landwirtschaftsministerium, insbesondere für den Bereich Bioökonomie, in der Task Force vertreten. Auch Expert:innen des Wissenschaftsministeriums für die Bereiche Forschung und Ausbildung und des Sozialministeriums für Gesundheit und Konsumentinnen- und Konsumentenschutz sind Teil des Gremiums.