Am Weg zu einem neuen Rohstoffmarkt
Weniger Abfall, mehr Kreislaufwirtschaft – so lässt sich die Zielsetzung der neuen EU-Verpackungsordnung auf den Punkt bringen. Verpflichtende Rezyklatanteile, ökologisch gestaffelte Tarife, neue Kennzeichnungspflichten, Quoten und vieles mehr. Auf Industrie und Handel warten große Herausforderungen.
Mit dem verstärkten Einsatz von Sekundärrohstoffen steht ein milliardenschwerer Zukunftsmarkt vor der Tür – dieser benötigt aber noch ein Mehr an Investitionen und politischer Unterstützung. Vor allem bei Kunststoff herrscht europaweit Nachholbedarf. Hier steigt zwar die Nachfrage nach recyceltem Material und der Markt wächst – das Angebot kommt dem aber nicht nach.
Wechselhaftes Preisgefüge
Der Kostenfaktor stellt dabei eine große und diffizile Herausforderung dar, denn er gestaltet sich je nach Material unterschiedlich. Bei PET (Polyethylenterephthalat) ist Neuware („virgin material“) nach wie vor meist günstiger, einfacher verfügbar und mit weniger regulatorischen Hürden versehen als recycelter Kunststoff. Dieser weist hohe Produktionskosten auf – durch großen Aufwand für Sammeln, Sortieren und Reinigen. Das heißt: Rezyklate werden eingesetzt, wenn es Gesetzgeber oder Kund:innen verlangen, da sie im Vergleich (noch) teurer sind. Ein anschauliches Beispiel bringt Christian Strasser, Geschäftsführer des Recyclingunternehmens PET to PET Österreich GmbH: „Der Markt für gebrauchte PET-Flaschen ist geprägt von Online-Auktionen. Dort werden die täglichen Spotpreis-Maxima beinhart ermittelt. Das sind im Durchschnitt derzeit etwa 700 bis 800 Euro pro Tonne – aber noch nicht reinsortig und mit Störelementen behaftet. Also muss man noch 20 bis 30 Prozent Verlust einrechnen und die Aufbereitungskosten dazukalkulieren – das macht dann pro Tonne rund 1.600 bis 1.700 Euro. Die Neuware hingegen kommt auf etwa 1.000 Euro.“
Anders ist es bei recyceltem Polyethylen (PE): Da überschwemmen Billigimporte aus Drittstaaten den Markt und drücken den Preis nach unten. Dieses Problem existiert auch bei anderen Kunststoffen, etwa recyceltem Polypropylen (PP) – oftmals handelt es sich dabei auch nicht um Recyclingmaterialien, sondern um illegal falsch deklarierte Neuware. Das schadet der europäischen Recyclingindustrie. Ende 2024 wandte sich eine Allianz aus Entsorgern, Herstellern und Verbänden an die EU-Kommission – mit dem dringenden Ansuchen einer schärferen Kontrolle von importierten Rezyklaten. Diese würden unter Bedingungen unterhalb der EU-Standards produziert und zu Dumpingpreisen angeboten – zum Schaden der europäischen Industrie und ihrer Wertschöpfungskette. Preisschwankungen gefährden die Rentabilität der Unternehmen – und was die Wirtschaft dringend braucht, ist Investitionssicherheit. Die wachsende Weltbevölkerung, Rohstoffknappheit und ökologische Vorgaben machen eine effiziente Kreislaufwirtschaft unentbehrlich.
Derzeit stammen über 90 % der weltweit produzierten Polymere aus fossilen Rohstoffen, während die Recyclingquote in Europa nur bei etwa 18,5 % liegt. In der EU wurden 2021 rund 16 Millionen Tonnen Kunststoff-Verpackungsabfälle gesammelt, aber nur etwa 6,6 Millionen Tonnen recycelt – davon wurden rund 1,6 Millionen Tonnen in der Verpackungsproduktion eingesetzt. Der Bedarf jedoch wächst – nicht zuletzt infolge der EU-Vorgaben. Laut internationalen Prognosen soll der weltweite Markt für recycelte Kunststoffe von rund 55 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 auf 107,13 Milliarden US-Dollar im Jahr 2032 wachsen – ein jährliches Plus von über 8 %. Das eröffnet eine große Chance für die krisengeschüttelte Wirtschaft – aber: Bis 2030 wird eine Lücke von 30 % bei Kunststoff-Rezyklaten erwartet, da die entsprechenden Verarbeitungskapazitäten nicht schnell genug wachsen. Wie lässt sich diese schließen?
Viele Wege zum Erfolg
ARA Vorstandssprecher Harald Hauke unterstützt einen Maßnahmen- Mix, wie es auch der Europäischen Union vorschwebt: „Da gibt es unterschiedlichste Ansätze – zum Beispiel verbindliche Rezyklatquoten, Tarifentlastung für recycelbare Verpackungen bis hin zur Förderung von Sekundärrohstoffen, Subventionen für Unternehmen, die in Recyclingtechnologien investieren oder Produkte mit hohem Rezyklatanteil herstellen. Auch forciertes ‚Design for Recycling‘, wie es die ARA schon seit Jahren anwendet, trägt dazu bei – also Entwicklung und Förderung von Produkten und Verpackungen, die einfacher recycelt werden können, durch standardisierte Materialzusammensetzungen und klare Kennzeichnungen. Und natürlich braucht es die kontinuierliche Verbesserung der getrennten Sammlung und entsprechende Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit. Das sind Basics – diesbezüglich sind wir in Österreich aber ohnedies schon sehr gut unterwegs.“
Es braucht eine rasche Umsetzung der von der Bundesregierung avisierten industriepolitischen Maßnahmen – von der Deregulierung bis zu gezielter Technologieförderung. Die Rückführung von recycelten Rohstoffen in die Wertschöpfungsketten muss profitabel sein, um einen funktionierenden Markt zu etablieren. Sichtwort: das Ganze muss sich rechnen.
Harald Hauke
Vorstandssprecher, ARA
Vieles davon deckt die EU-Verpackungsverordnung bereits ab – jetzt geht es um Details und Tempo der Umsetzung. Hauke ist sich der Vielschichtigkeit des Problems bewusst. „Trotz ambitionierter Vorhaben wie Green Deal und Clean Industrial Deal haben wir europaweit nach wie vor bürokratische Hürden. Erstens durch die Vielzahl an regulatorischen Anforderungen, die je nach Mitgliedstaat variieren können. Hier brauchen wir auch in Österreich rasch eine Anpassung an die nationale Gesetzgebung. Da geht es vor allem um das Bestehenbleiben der Trennung von Haushalts- und Gewerbeverpackungen, die Förderung von Innovationen im Bereich nachhaltiger Verpackungstechnologien sowie die Überwachung und Kontrolle von Trittbrettfahrer: innen. Zweitens lässt eine einheitliche Definition von Rezyklaten und deren Qualitätsanforderungen noch auf sich warten. Auch wenn eine Harmonisierung in den nächsten Jahren erfolgt, verunsichert der Status quo die Marktteilnehmer:innen und bremst Investitionen, die wir – nicht zuletzt infolge entsprechender Vorlaufzeiten – jetzt schon brauchen. Hier braucht es eine rasche Umsetzung der von der Bundesregierung avisierten industriepolitischen Maßnahmen – von Deregulierung bis zu gezielter Technologieförderung. Die Rückführung von recycelten Rohstoffen in die Wertschöpfungsketten muss profitabel sein, um einen funktionierenden Markt zu etablieren. Stichwort: Das Ganze muss sich rechnen.“
ARA investiert in Sortierung und Aufbereitung
Gefordert sind also Politik und Verwaltung, um rasch einen einheitlichen, fairen Rechtsrahmen mit harmonisierten Normen sowie einheitlichen Standards zu schaffen. Das ist die Grundvoraussetzung für einen europäischen Rezyklatmarkt, zu dem sich die Europäische Kommission nachdrücklich bekennt – und eine große Chance, den primärrohstoffarmen Standort Europa zu stärken und gleichzeitig die Klimaziele erreichen zu können. Die ARA hat im Bereich Sekundärrohstoffe bereits entscheidende Schritte gesetzt. „Wir setzen an allen Gliedern der Wertschöpfungskette an und haben zeitgerecht investiert, um für mehr Angebot an Rezyklaten zu sorgen“, erläutert Vorstand Thomas Eck. Gemeinsam mit den Partnern Bernegger sowie Der Grüne Punkt hat die ARA 2024 im oberösterreichischen Ennshafen Europas modernste Kunststoffsortieranlage in Betrieb genommen – mit einer Kapazität von 100.000 Tonnen jährlich sowie einer in Österreich einzigartigen Sortiertiefe von 80 %.
Wir setzen an allen Gliedern der Wertschöpfungskette an und haben zeitgerecht investiert, um für mehr Angebot an Rezyklaten zu sorgen.
Thomas Eck
Vorstand, ARA
Und auch die restlichen 20 % werden weiterverarbeitet: in der erst vor wenigen Monaten gemeinsam mit der SRP Sekundär Rohstoff Produktion GmbH gestarteten ersten Polyolefin-Aufbereitungsanlage Österreichs. UPCYCLE gilt als Meilenstein der Kreislaufwirtschaft: Nach zweijähriger Verfahrensentwicklung und einem von der ARA patentierten Prozess verarbeitet die hochmoderne Anlage zusätzlich bis zu 20.000 Tonnen Recyclingmaterial pro Jahr. „In der Vergangenheit wurden getrennt gesammelte Kunststoffverpackungen, die nicht recyclingfähig sind, weil sie zu stark verschmutzt oder zu klein sind oder aus unterschiedlichen chemischen Stoffen oder Beschichtungen bestehen, aussortiert und anschließend nur mehr als Ersatzbrennstoff eingesetzt. Mit UPCYCLE hat die ARA eine Methode entwickelt, um diese Sortierreste als wertvolle Sekundärrohstoffe im Kreislauf zu führen“, erläutert Eck. Dank des innovativen Verfahrens gewinnt man nun bis zu 50 % der Wertstoffe zurück – mit dem Ergebnis hochwertiger Polyolefin-Rezyklate in einer Reinheit von zumindest 90 %. Diese werden im Anschluss von der Industrie als Sekundärrohstoff mechanisch oder chemisch weiterverarbeitet. „Wir bei der ARA sorgen für Rohstoffsicherheit – unter dieser Prämisse steht unsere Tätigkeit entlang der Wertschöpfungskette, von der sortenreinen Sammlung bis hin zur hochqualitativen Aufbereitung“, betont Harald Hauke.
Den UPCYCLE-Standort im niederösterreichischen Pöchlarn hat man bewusst gewählt, um eine 360-Grad-Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen. Die enge Zusammenarbeit zwischen der Kommune, Entsorgern und der Zementindustrie bildet dabei eine einzigartige Kooperation. Die nicht weiter recycelbaren Restfraktionen werden in einer CO2-optimierten thermischen Verwertung durch Kirchdorfer Zement, einen Spezialisten für umweltschonende Zementproduktion, genutzt. Dadurch lassen sich fossile Brennstoffe wie Gas oder Kohle nahezu vollständig ersetzen.
Österreich ist also auf einem guten Weg – ein starker Rezyklatmarkt bedarf allerdings noch weiterer forcierter internationaler Zusammenarbeit, um einen diskriminierungsfreien Zugang für alle Teilnehmer: innen zu gewährleisten. Dafür macht sich auch der Senat der Kreislaufwirtschaft stark, ein vom ARA Verein getragener Zusammenschluss namhafter österreichischer Unternehmen. Er tritt für Entbürokratisierung im grenzüberschreitenden Handel mit Recyclingware ein – und regt gleichzeitig stärkere Kontrollen der öffentlichen Hand an, um illegale Importe und Exporte in diesem Zusammenhang sowie die Eindämmung falsch deklarierter Virgin-Materialien als Rezyklate zu unterbinden. „Die europäische Strategie ist richtig: Eine stabile Kreislaufwirtschaft braucht einen stabilen Markt für Sekundärrohstoffe. Jetzt sind EU und nationale Regierungen gefordert, rasch die Umsetzungsdetails zu fixieren, um einen fairen Wettbewerbsrahmen mit gleichen Voraussetzungen für alle Marktteilnehmer:innen zu schaffen. Das bringt uns starke positive Impulse – für die Konjunktur wie auch für effektiven Klimaschutz“, sind sich die ARA Vorstände einig.